Die kulinarischen Schätze der Schweiz – vom Schutz regionaler Spezialitäten
Sobald die Rede auf AOP-IGP-Spezialitäten kommt, beginnen Alain Farines Augen zu leuchten und die Worte sprudeln nur so aus ihm heraus. Das ist nicht verwunderlich. Denn die geschützten Ursprungsbezeichnungen (AOP bzw. GUB) und die geschützten geografischen Angaben (IGP bzw. GGA) nehmen einen grossen Raum in seinem Leben ein.
Seit siebzehn Jahren leitet er die Schweizerische Vereinigung der AOP-IGP, unter deren Dach sich der Grossteil der Spezialitäten findet, die dieses Exzellenzsiegel tragen. «Das sind Produkte mit hohem Mehrwert und unnachahmlichem Geschmack, die es zu bewahren gilt. Sie sind das Ergebnis eines traditionellen Wissens und Teil unseres Erbes. Es ist eine grossartige Aufgabe, sie zu fördern und zu bewerben», strahlt er.
Breite Allianz
In diesem Jahr feiert die Schweizerische Vereinigung der AOP-IGP ihr 25-jähriges Bestehen. Sie umfasst 23 AOP-Spezialitäten, hauptsächlich Milchprodukte, aber auch Backwaren, Schnäpse und Gemüse, sowie 14 IGP-Spezialitäten, allesamt Fleischerzeugnisse. Lediglich vier beim Bundesamt für Landwirtschaft eingetragene AOP und IGP sind keine Mitglieder der Vereinigung.
Als die Vereinigung 1999 gegründet wurde, wollte sie die AOP- und IGP-Spezialitäten unter einem Dach vereinen. Zudem sollte der Bekanntheitsgrad der beiden neuen Bezeichnungen erhöht werden, die im Zuge der Reform der Schweizer Agrarpolitik Mitte der 1990er-Jahre entstanden waren.
«Angesichts des Preisverfalls bei den landwirtschaftlichen Produkten und der internationalen Marktöffnung musste die Eidgenossenschaft neue Wege finden, um die Branche und ihre Erzeugnisse mit hohem Mehrwert zu unterstützen. Dies geschah durch die 1997 in Kraft getretene GUB/GGA-Verordnung», erklärt Alain Farine.
L’Étivaz alos Vorreiter
Der Käse L’Étivaz war das erste Lebensmittel, das die Bezeichnung AOP erhielt. Das war 1999. «Infolge der Reform der Schweizer Agrarpolitik in den 1990er Jahren und der Öffnung des Schweizer Marktes für die Konkurrenz wollten wir den Namen schützen und einen Mehrwert für unseren Käse schaffen», erklärt Jacques Henchoz, Ehrenpräsident der Erzeugergenossenschaft Coopérative des producteurs de L’Étivaz.
Die Ausarbeitung eines Pflichtenhefts, das dem gesamten Sektor entspricht, hat sieben Jahre gedauert. Es wurden bereits Schritte eingeleitet, noch bevor die GUB/GGA-Verordnung gesetzlich verankert war. «Es war uns bewusst, dass wir unseren Käse und das damit zusammenhängende Know-how schützen mussten», betont Jacques Henchoz. «Und wir haben jungen Erzeugern eine Perspektive eröffnet, die durch den Einbruch der Milchpreise entmutigt waren. Insbesondere durch die Genossenschaft konnten wir Arbeitsplätze schaffen.»
Dank der AOP wurde die gesamte Wertschöpfungskette aufgewertet. Denn für die Milch zur Erzeugung des Hartkäses liessen sich ebenso wie für den nunmehr geschützten Käse höhere Preise erzielen. Dieses Siegel bot den regionalen Alpmilch-Erzeugern eine Perspektive und sorgte für den Fortbestand eines in den Waadtländer Alpen verankerten Know-hows und Geschmacks. Das Siegel liess die Verkaufszahlen in die Höhe schnellen.
Diese beiden Bezeichnungen werden also von der Eidgenossenschaft verwaltet, «aber unsere Vereinigung stellt das Ad-hoc-Logo mit dem Schweizerkreuz zur Verfügung».
Damit ein Erzeugnis als AOP eingetragen werden kann, sind eine enge Verbindung zu einer Region, ein traditioneller Geschmack und ein traditionelles Know-how erforderlich. Ausserdem muss der gesamte Herstellungsprozess in derselben Ursprungsregion stattfinden. Bei den IGP muss mindestens ein Produktionsschritt am Herkunftsort erfolgen.
Steigerung des Bekanntheitgrads
In einem Vierteljahrhundert hat sich an der Aufgabe, die eingetragenen Spezialitäten zu bewerben, nur wenig geändert. «Es stimmt, dass noch nicht alle diese Bezeichnungen kennen. Das trifft insbesondere auf die Deutschschweiz zu», schiebt der Direktor ein. Und er betont, dass es in der Westschweiz wie auch in den romanischen Ländern, die als erste damit begonnen hatten, ihre Produkte vor der Konkurrenz zu schützen, eine echte Esskultur gibt. Im Klartext: «Wir lieben gute Sachen», lächelt Alain Farine.
Die Produkte des Terroirs mit starkem Bezug zu ihrer Region, die althergebrachtes Know-how erfordern, wurden bereits geschützt.
Ein weiterer Vorteil, der für einen grösseren Bekanntheitsgrad dieser Siegel in der Westschweiz sorgt, ist die Tatsache, dass es in jedem Westschweizer Kanton mindestens eine AOP oder IGP gibt. Dagegen findet sich in den bevölkerungsreichsten Deutschschweizer Kantonen Zürich, Basel oder Aargau keine einzige. «In Sachen Bekanntheitsgrad ist hier also noch viel Luft nach oben.»
Um die Bekanntheit zu steigern, unternimmt die Vereinigung themenbezogene Werbekampagnen, verteilt Werbematerial und ist auf zahlreichen Messen vertreten. «Beim Kauf ist der Geschmack das Hauptkriterium für den Verbraucher! Dann folgt die Herkunft der Lebensmittel. Deshalb ist es wichtig, Kostproben anzubieten», weiss Alain Farine.
Führt die Vielzahl an regionalen Labeln bei den Verbrauchern nicht zu Verwirrung? «Ja, das erschwert unsere Kommunikationsarbeit in der Tat. Wir müssen den Menschen vermitteln, dass die AOP- und IGP-Erzeugnisse für eine regionale kulinarische Tradition stehen, die auf einzigartigen und ortstypischen Kenntnissen basiert.»
Die Vereinigung beobachtet mittels unterschiedlicher Studien auch den Markt, um den Bekanntheitsgrad von AOP und IGP in der Bevölkerung zu ermitteln. «Unsere letzte Studie zeigt, dass unser Bekanntheitsgrad in der Westschweiz um 10 Punkte (auf 60 %) gestiegen ist», freut er sich.
Im Zentrum der Politik
Ein weiterer Tätigkeitsaspekt ist die politische Lobbyarbeit. Anfangs stammte der Präsident des Vorstands der Vereinigung aus der Landwirtschaft. Im Lauf der Zeit übernahmen Politiker diesen Posten. «Die Interessen der Produkte mit hohem Mehrwert müssen in den agrarpolitischen Diskussionen sowie auf dem Markt, in der Schweiz und beim Export vertreten werden.
Die Eidgenossenschaft musste einen Weg finden, um die Branche und ihre Lebensmittel mit hohem Mehrwert zu unterstützen.
2011 ist die gegenseitige Anerkennung der AOP und IGP zwischen der Schweiz und der Europäischen Union in Kraft getreten. Das war für uns eine entscheidende Etappe», betont Alain Farine. In jüngerer Zeit konnte ein weiterer Erfolg verbucht werden. Denn 2021 trat die Schweiz der Genfer Akte bei. Sie bietet eine freiwillige multilaterale Anerkennung von AOP und IGP zwischen Mitgliedsstaaten der Weltorganisation für geistiges Eigentum.
Produzenteninitiative
Alain Farine geht nicht davon aus, dass die Vereinigung in Zukunft stark erweitert werden wird. «Wir haben eine gewisse Sättigung der eingetragenen Spezialitäten erreicht. Die Produkte des Terroirs mit starkem Bezug zu ihrer Region, die althergebrachtes Know-how erfordern, wurden bereits geschützt.»
Im Lauf ihres 25-jährigen Bestehens hat die Vereinigung bisweilen versucht, einige Sektoren dazu zu bewegen, Teil der AOP oder IGP zu werden. Aber ohne grossen Erfolg. «Wenn dieser Wunsch nicht von den Erzeugern selbst ausgeht, ist es schwierig, sie an einen Tisch zu bringen. Eine Eintragung erfordert einen langen Atem. Dazu ist ein gemeinsames Bestreben und ein gutes Einvernehmen zwischen den Angehörigen des Sektors nötig, bis die AOP bzw. IGP verliehen wird.»
Zu den Herausforderungen, vor denen die Vereinigung selbst steht, sagt Alain Farine: «Zum einen geht es darum, den Bekanntheitsgrad der beiden Gütesiegel AOP und IGP in der Westschweiz weiter zu steigern und zu vermitteln, was dahintersteckt. Und das vor dem Hintergrund angekündigter Kürzungen bei den staatlichen Hilfen zur Bewerbung landwirtschaftlicher Produkte. Andererseits müssen wir genau beobachten, wie sich die Praktiken auf dem Schweizer Markt und auf internationaler Ebene verändern. Insbesondere im Zusammenhang mit Handelsabkommen, die das geistige Eigentum berühren. Denn nur so lassen sich unsere AOP und IGP angemessen schützen.»
Weitere Infos www.aop-igp.ch
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